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Literaturweg

Station 1 Fischerhütte

H. Piontek war ein leidenschaftlicher Spaziergänger. Wanderungen in der Natur setzten bei ihm schöpferisches Potenzial frei; mit dem Blick des Malers - eine andere Art seiner künstlerischen Existenz - erkundete er Stadt und Flussufer. Es gelangen ihm dann konzise Schnappschüsse: Fischerhütte an der Mündung der Brenz in die Donau

Die dritte und letzte Strophe des Gedichts „Fischerhütte“ lautet:


Hinterm Herd des Kienholzstapel,
warm und dunstig ist die Enge –
und im Dunkel die Geschichten
wunderbarer Fänge.

„Eine solche Schlusskadenz, virtuos und dennoch bezaubernd… bringt das Gedicht mit einer Sicherheit, einer effektvollen Bestimmtheit zu Ende, die sehr viel Kunstverstand verrät.“


Hans Egon Holthusen: Fünf junge Lyriker, in: Ja und Nein. Neue kritische Versuche, München, 1954, S. 126-127.

 

Fischerhütte bei der Mündung der Brenz in die Donau

Station 2 Im Wasser

„Ich hatte in den letzten Tagen eine angenehme Überraschung. Unter den Themen für das schriftliche Deutsch-Abitur an allen Oberschulen Bayerns war auch eines, das die Aufgabe stellte:

Vergleichen Sie Goethes Gedicht ‚Auf dem See‘ (1789) mit Pionteks Gedicht ‚Im Wasser‘ (1971). – Es ist schon mein drittes Gedicht, das als Abi-Thema diente… Sonst nichts Besonderes.“

Heinz Piontek an seine Schwester Ilse und deren Mann Werner Huth, 23. Mai 1986 (© Heinz Piontek-Archiv = PiontekA)

Station 3 Lauingen an der Donau

Lauingen an der Donau 3

Der griechische Philosoph Heraklit (ca. 520 bis 460 v. Chr,) brachte als erster mit dem fragmentarisch überlieferten Satz "panta rhei" ("alles fließt") zum Ausdruck, dass alles im Fluss ist.  Dieser Satz gibt auch Pionteks nachfolgende Landschaftsgedicht seinen Sinn:

Lauingen an der Donau

Über die Brücke holpert
ein Ochsenfuhrwerk, wohin?
Ich weiß, dass ich am Wasser
der Ewigkeit näher bin.

Der Angler auf den Steinen,
er wird mich nicht verstehn
und im Laub der Uferkastanien
die himmlischen Zeichen nicht sehn.

Vorüberziehende Herde.
Nun bin ich mit mir allein.
Morgen vielleicht schon werde
ich wie das Wasser sein.

Mit stiller Eindringlichkeit geht der Dichter auf die existentiellen Fragen nach Identität und Wandel der eigenen Person ein. Seine Antwort ist optimistisch wie es im Schlussvers heißt: „Morgen vielleicht schon werde ich wie das Wasser sein.“ Ja, das Wasser kennen wir als Symbol des Lebens und der Erneuerung.

An Heinz Pionteks erste Schlafstelle in Lauingen, Burgstraße 1, erinnert diese Gedenktafel. Fotos © Heinz Piontek-Archiv (=PiontekA)

Station 4 Biog. Skizze Lauingen 4

 

Quelle zum Nachlesen der vollständigen Rede:

Heinz Piontek: Rede zur Verleihung des Werner-Egk-Preises 1981. Heinz Piontek in: Schönheit: Partisanin. Schriften zur Literatur. Zu Person und Werk (Werke in sechs Bänden. Bd. 5). München 1983, S. 755–758.

Station 5 Die Furt

Fragen für ein lyrisches Gespräch:

  • Was hat dich an deine eigene Flussüberquerung erinnert, die du dir vorher vorgestellt hast? Lies die Stelle vor!
  • Das Ich durchwatet den Fluss. Wodurch wird seine Stimmung beeinflusst?
  • Was wäre dir am unangenehmsten, wenn du dieses Ich wärst?
  • Was bräuchte das Ich, um sich beim Überqueren des Flusses sicher zu fühlen?
  • Welche Tageszeit stellst du dir für das Gedicht vor? Warum gibt es hier Flutlichter?
  • Flussüberquerungen sind heute für uns ja relativ seltene Erfahrungen geworden. Welche anderen Erfahrungen im Leben könnte man so ähnlich empfinden?

Quelle: Konzepte und Ideen für einen erfahrungsorientierten Lyrikunterricht. Hg. Hans Lösener und Ulrike Siebauer, Regensburg 2021, S. 89.

O-Ton: Thomas Huber liest Die Furt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 291, 14. Dezember 2019, S. 16 

https://www.youtube.com/watch?v=WDRdXblZpN4

Station 6 Prosa I (Wie Rauch)

Heinz Piontek an Ilva Oehler, 18. Januar 1980. © PiontekA

Ilva Oehler (1919–2007) war Ärztin in Zürich, verfasste selbst Gedichte und schrieb Rezensionen zu Pionteks Werken für Schweizer Zeitungen und für das Schweizer Radio.

Heinz Piontek an Ilva Oehler, 18. Januar 1980. © PiontekA

Station 7 Kondensstreifen

Ein fiktiver Schülerbrief:

Mail an den Fliegerhorst "-burg":

Hallo Piloten des Eurofighter Typhoon,

Heinz Piontek hat uns in seinem Gedicht „Kondensstreifen“ aufgefordert, euch einfach zu fragen, wenn wir etwas in dem Gedicht nicht verstanden haben. Und das wollen wir hiermit auch tun. Denn wenn wir es schon als Hausaufgabe für den Unterricht interpretieren müssen, so sollte alles richtig werden.

Also, was Kondensstreifen sind, das haben wir natürlich im Physikunterricht gelernt. Sie entstehen als menschengemachte Wolken, wenn Eure ruß- und wasserdampfhaltigen Triebwerksabgase auf frostige Luft treffen und meist sind sie schnur- oder wie es im Gedicht heißt „pfeilgrade“.

Was aber ist gemeint mit „halben Himmel“, dem „idealen Erreichen des Ziels“ und wieso „hörten wir die Sehne / noch schwirren“? Könnt ihr uns diese Fragen beantworten?

Überhaupt, das ganze Gedicht macht uns Schwierigkeiten! Jede Hilfe ist also willkommen.

Danke und Grüße!

Oberstufe Deutsch, Gymnasium "-ingen"

Station 8 Bootsfahrt

„Ich vermute, daß derjenige ein Gedicht am genauesten interpretiert, der es mehrere Male hintereinander kommentarlos vorliest.“

Heinz Piontek: Notizen über Dichter und Gedicht, in: Welt und Wort 6/1955, S. 175.

Station 9 Drei Fragen

Die Frage nach der Wahrheit ist eine Kardinalfrage der Menschheit in philosophischer wie in wissenschaftlicher Perspektive. Auch eine religiöse Dimension schwingt mit. Im Johannes-Evangelium 18,38 fragt Pontius Pilatus Jesus: „Was ist Wahrheit?“ Piontek äußert sich selbst in einem Essay zu der Wahrheit in der Poesie: „Dürfen wir das Faktische mit dem Wahren gleichsetzen? Ich neige keinesfalls dazu, die letzte Frage zu bejahen. Das Gedicht, wenn es wirklich eins ist, muß seine eigene Wahrheit erhärten: durch die Treffsicherheit, Glaubwürdigkeit und Authentizität seiner Worte. Die Wahrheit der Poesie kann sich mit dem Faktischen decken, muß es aber keineswegs. Weicht der Dichter von der Realität ab, nimmt er die ihm zugestandene ‚dichterische Freiheit‘ für sich in Anspruch, dann muß er mit ihrer Hilfe eine Wahrheit dingfest machen, höher als die der Vernunft.“

Heinz Piontek: Werke in sechs Bänden. Band 5: Schönheit: Partisanin. Schriften zur Literatur, zu Person und Werk. München 1983, S.786.

Station 10 Freies Geleit

„Wie mehrfach in seinem Werk reflektiert Piontek hier über das Ende des Lebens. Wie wird es sein, das Sterben? Wie wird er sein, der Aufbruch der Seele in die Unsterblichkeit, auf die der Gedichtsprecher hofft? Piontek wagt es…. Das Thema selbst wird in den ersten Versgruppen nur umrissen, erschließt sich erst durch das ganze Gedicht.

Erstes Bild, unvermittelt direkt durch ‚da wird‘ vor Augen gestellt: Was wird zurückbleiben? ‚Ein Ufer‘ oder ‚das End eines Feldwegs‘-…Der Ort an dem eben noch der Fuß stand, bleibt schlicht zurück, man sieht ihn förmlich kleiner und kleiner werden. Zweites Bild, nun voraus gerichtet: Es geht ‚über letzte Lichter‘ hinaus, über die Grenzen des Bewohnten, Zivilisierten. Dieser Aufbruch sprengt andere Aufbrüche. In der dritten Versgruppe verändern sich Ton und Rahmen: ‚Wir‘ erleben diesen Aufbruch, als Sprecher des Textes sind mindestens zwei Personen zu denken….

Die vierte Versgruppe greift rhythmisierend die Einleitung zum ersten Vers auf. ‚Da wird‘. Doch nun wendet sich der Blick nach innen, auf die eigene Haltung dem Aufbruch gegenüber: ‚unser Mund voll Lachens‘. Als Prätext wird auf Rilkes bekanntes Todesgedicht ‚Schluszstück‘… angespielt. Neben und eigentlich vor Rilke wird aber auch ein biblisches Motiv aufgegriffen…. Wie war das, als der Herr das Los der Gefangenschaft Zions wendete? ‚Da war unser Mund voll Lachens‘ (Ps 126,2).

Mit dieser doppelten Anspielung wird nun endgültig klar, dass es sich um ein Gedicht über das Sterben … handelt. ‚Die Seele reiseklar‘. Das Gedicht setzt die Existenz der Seele voraus, sie ist reiseklar. Wohin geht die Reise? Auch hier wagt Piontek ein Bild: Ziel ist ‚das All‘, doch das ist nur eine ‚schmale Tür‘. Die Tür aber ist ‚angelweit offen‘… Der ungehinderte, durch ‚freies Geleit‘ geschützte Aufbruch beschreibt die sehnsüchtig erhoffte Reise der Seele. Am Ende steht der über sich selbst hinaus verweisende Bindestrich, der Hier und Dort verbindet, verbinden soll. Er markiert das Ende der sprachlichen Fassbarkeit.“

Georg Langenhorst: Auferweckt ins Leben. Die Osterbotschaft neu entdeckt. Darin: Heinz Piontek: Freies Geleit, Freiburg im Breisgau 2018, S. 277-281.

Heinz Piontek ist mit „Freies Geleit“ im Evangelisches Gesangbuch für Bayern und Thüringen (Ausgabe 1994) vertreten: