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Literaturweg

Station 14 Prosa II

Erich Pawlu (1934–2022) war Gymnasiallehrer und für das Kulturleben in unserer Region ein Schwergewicht. So berichtete er über viele Jahre in der Donauzeitung zu Leben und Werk des Schriftstellers Heinz Piontek und pflegte ein literarisch- freundschaftliches Verhältnis zu dem Dichter.

„Dass sich ein Dichter, der in dieser Tradition steht, nicht ständig kontaktscheu oder melancholisch geben muss, ließ sich an Heinz Piontek beobachten. Erstmals begegnete ich ihm im Fasching 1960 bei einem „Kanu-Ball“ im damaligen Kolpingssaal. Schon beim Erwerb der Eintrittskarte im Fachgeschäft Schlander, damals noch in der Königstraße, wurde mir vom Inhaber angekündigt, dass ich das Glück haben werde, am Tisch des bekannten Autors zu sitzen. Piontek, damals 34 Jahre alt, hatte sich zu dieser Zeit Respekt und Anerkennung verschafft.

Ich war auf die Begegnung schon deshalb gut vorbereitet, weil ich während meiner gerade abgeschlossenen Referendarzeit am Neunen Gymnasium Regensburg mehrere Interpretationen zu Piontek Gedichten verfasst hatte. Außerdem war ich am Samstag vor dem Kanu-Ball, der am Rosenmontag stattfand, auf ein Faschingsgedicht Pionteks in der „Süddeutschen-Zeitung“ gestoßen. Solche Anknüpfungspunkte erleichterten das Gespräch mit dem Dichter, der als Seeräuber verkleidet, zusammen mit seiner Frau Gisela erschienen war… Piontek war trotz des Trubels interessiert an meiner Meinung zu einigen seiner Gedichte. Allerdings waren die Dialoge notwendigerweise auf die Tanzpausen beschränkt. Denn sobald die Musik einsetzte, musste sich der Dichter den Wünschen junger Frauen fügen, die so taten, als wäre ständig Damenwahl. Sie entführten Heinz Piontek auf die Tanzfläche. Offenbar hatten sich diese Besucherinnen vorgenommen, den Abend nicht ohne einen Tanz mit dem berühmten Dichter verstreichen zu lassen.“

Erich Pawlu: „Der Angler auf den Steinen / er wird mich nicht verstehn…“. Die Stellung des Dichters Heinz Piontek im Literaturbetrieb und seine lebenslange Beziehung zu Lauingen und Dillingen, in: Heinz Piontek – Leben und Werk, Lauingen – Dillingen, 1947–1961. Eine Dokumentation. Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen, Beiheft 1, Dillingen, 2009, S. 16.

Station 1 Fischerhütte

H. Piontek war ein leidenschaftlicher Spaziergänger. Wanderungen in der Natur setzten bei ihm schöpferisches Potenzial frei; mit dem Blick des Malers - eine andere Art seiner künstlerischen Existenz - erkundete er Stadt und Flussufer. Es gelangen ihm dann konzise Schnappschüsse: Fischerhütte an der Mündung der Brenz in die Donau

Die dritte und letzte Strophe des Gedichts „Fischerhütte“ lautet:


Hinterm Herd des Kienholzstapel,
warm und dunstig ist die Enge –
und im Dunkel die Geschichten
wunderbarer Fänge.

„Eine solche Schlusskadenz, virtuos und dennoch bezaubernd… bringt das Gedicht mit einer Sicherheit, einer effektvollen Bestimmtheit zu Ende, die sehr viel Kunstverstand verrät.“


Hans Egon Holthusen: Fünf junge Lyriker, in: Ja und Nein. Neue kritische Versuche, München, 1954, S. 126-127.

 

Station 2 Im Wasser

„Ich hatte in den letzten Tagen eine angenehme Überraschung. Unter den Themen für das schriftliche Deutsch-Abitur an allen Oberschulen Bayerns war auch eines, das die Aufgabe stellte:

Vergleichen Sie Goethes Gedicht ‚Auf dem See‘ (1789) mit Pionteks Gedicht ‚Im Wasser‘ (1971). – Es ist schon mein drittes Gedicht, das als Abi-Thema diente… Sonst nichts Besonderes.“

Heinz Piontek an seine Schwester Ilse und deren Mann Werner Huth, 23. Mai 1986 (© Heinz Piontek-Archiv = PiontekA)

An Heinz Pionteks erste Schlafstelle in Lauingen, Burgstraße 1, erinnert diese Gedenktafel. Fotos © Heinz Piontek-Archiv (=PiontekA)

Station 3 Lauingen an der Donau

Lauingen an der Donau 3

Der griechische Philosoph Heraklit (ca. 520 bis 460 v. Chr,) brachte als erster mit dem fragmentarisch überlieferten Satz "panta rhei" ("alles fließt") zum Ausdruck, dass alles im Fluss ist.  Dieser Satz gibt auch Pionteks nachfolgende Landschaftsgedicht seinen Sinn:

Lauingen an der Donau

Über die Brücke holpert
ein Ochsenfuhrwerk, wohin?
Ich weiß, dass ich am Wasser
der Ewigkeit näher bin.

Der Angler auf den Steinen,
er wird mich nicht verstehn
und im Laub der Uferkastanien
die himmlischen Zeichen nicht sehn.

Vorüberziehende Herde.
Nun bin ich mit mir allein.
Morgen vielleicht schon werde
ich wie das Wasser sein.

Mit stiller Eindringlichkeit geht der Dichter auf die existentiellen Fragen nach Identität und Wandel der eigenen Person ein. Seine Antwort ist optimistisch wie es im Schlussvers heißt: „Morgen vielleicht schon werde ich wie das Wasser sein.“ Ja, das Wasser kennen wir als Symbol des Lebens und der Erneuerung.

Station 4 Biog. Skizze Lauingen 4

 

Quelle zum Nachlesen der vollständigen Rede:

Heinz Piontek: Rede zur Verleihung des Werner-Egk-Preises 1981. Heinz Piontek in: Schönheit: Partisanin. Schriften zur Literatur. Zu Person und Werk (Werke in sechs Bänden. Bd. 5). München 1983, S. 755–758.

Station 5 Die Furt

Fragen für ein lyrisches Gespräch:

  • Was hat dich an deine eigene Flussüberquerung erinnert, die du dir vorher vorgestellt hast? Lies die Stelle vor!
  • Das Ich durchwatet den Fluss. Wodurch wird seine Stimmung beeinflusst?
  • Was wäre dir am unangenehmsten, wenn du dieses Ich wärst?
  • Was bräuchte das Ich, um sich beim Überqueren des Flusses sicher zu fühlen?
  • Welche Tageszeit stellst du dir für das Gedicht vor? Warum gibt es hier Flutlichter?
  • Flussüberquerungen sind heute für uns ja relativ seltene Erfahrungen geworden. Welche anderen Erfahrungen im Leben könnte man so ähnlich empfinden?

Quelle: Konzepte und Ideen für einen erfahrungsorientierten Lyrikunterricht. Hg. Hans Lösener und Ulrike Siebauer, Regensburg 2021, S. 89.

O-Ton: Thomas Huber liest Die Furt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 291, 14. Dezember 2019, S. 16 

https://www.youtube.com/watch?v=WDRdXblZpN4

Station 6 Prosa I (Wie Rauch)

Heinz Piontek an Ilva Oehler, 18. Januar 1980. © PiontekA

Ilva Oehler (1919–2007) war Ärztin in Zürich, verfasste selbst Gedichte und schrieb Rezensionen zu Pionteks Werken für Schweizer Zeitungen und für das Schweizer Radio.

Station 7 Kondensstreifen

Ein fiktiver Schülerbrief:

Mail an den Fliegerhorst "-burg":

Hallo Piloten des Eurofighter Typhoon,

Heinz Piontek hat uns in seinem Gedicht „Kondensstreifen“ aufgefordert, euch einfach zu fragen, wenn wir etwas in dem Gedicht nicht verstanden haben. Und das wollen wir hiermit auch tun. Denn wenn wir es schon als Hausaufgabe für den Unterricht interpretieren müssen, so sollte alles richtig werden.

Also, was Kondensstreifen sind, das haben wir natürlich im Physikunterricht gelernt. Sie entstehen als menschengemachte Wolken, wenn Eure ruß- und wasserdampfhaltigen Triebwerksabgase auf frostige Luft treffen und meist sind sie schnur- oder wie es im Gedicht heißt „pfeilgrade“.

Was aber ist gemeint mit „halben Himmel“, dem „idealen Erreichen des Ziels“ und wieso „hörten wir die Sehne / noch schwirren“? Könnt ihr uns diese Fragen beantworten?

Überhaupt, das ganze Gedicht macht uns Schwierigkeiten! Jede Hilfe ist also willkommen.

Danke und Grüße!

Oberstufe Deutsch, Gymnasium "-ingen"

Station 8 Bootsfahrt

„Ich vermute, daß derjenige ein Gedicht am genauesten interpretiert, der es mehrere Male hintereinander kommentarlos vorliest.“

Heinz Piontek: Notizen über Dichter und Gedicht, in: Welt und Wort 6/1955, S. 175.

Station 9 Drei Fragen

Die Frage nach der Wahrheit ist eine Kardinalfrage der Menschheit in philosophischer wie in wissenschaftlicher Perspektive. Auch eine religiöse Dimension schwingt mit. Im Johannes-Evangelium 18,38 fragt Pontius Pilatus Jesus: „Was ist Wahrheit?“ Piontek äußert sich selbst in einem Essay zu der Wahrheit in der Poesie: „Dürfen wir das Faktische mit dem Wahren gleichsetzen? Ich neige keinesfalls dazu, die letzte Frage zu bejahen. Das Gedicht, wenn es wirklich eins ist, muß seine eigene Wahrheit erhärten: durch die Treffsicherheit, Glaubwürdigkeit und Authentizität seiner Worte. Die Wahrheit der Poesie kann sich mit dem Faktischen decken, muß es aber keineswegs. Weicht der Dichter von der Realität ab, nimmt er die ihm zugestandene ‚dichterische Freiheit‘ für sich in Anspruch, dann muß er mit ihrer Hilfe eine Wahrheit dingfest machen, höher als die der Vernunft.“

Heinz Piontek: Werke in sechs Bänden. Band 5: Schönheit: Partisanin. Schriften zur Literatur, zu Person und Werk. München 1983, S.786.

Station 10 Freies Geleit

„Wie mehrfach in seinem Werk reflektiert Piontek hier über das Ende des Lebens. Wie wird es sein, das Sterben? Wie wird er sein, der Aufbruch der Seele in die Unsterblichkeit, auf die der Gedichtsprecher hofft? Piontek wagt es…. Das Thema selbst wird in den ersten Versgruppen nur umrissen, erschließt sich erst durch das ganze Gedicht.

Erstes Bild, unvermittelt direkt durch ‚da wird‘ vor Augen gestellt: Was wird zurückbleiben? ‚Ein Ufer‘ oder ‚das End eines Feldwegs‘-…Der Ort an dem eben noch der Fuß stand, bleibt schlicht zurück, man sieht ihn förmlich kleiner und kleiner werden. Zweites Bild, nun voraus gerichtet: Es geht ‚über letzte Lichter‘ hinaus, über die Grenzen des Bewohnten, Zivilisierten. Dieser Aufbruch sprengt andere Aufbrüche. In der dritten Versgruppe verändern sich Ton und Rahmen: ‚Wir‘ erleben diesen Aufbruch, als Sprecher des Textes sind mindestens zwei Personen zu denken….

Die vierte Versgruppe greift rhythmisierend die Einleitung zum ersten Vers auf. ‚Da wird‘. Doch nun wendet sich der Blick nach innen, auf die eigene Haltung dem Aufbruch gegenüber: ‚unser Mund voll Lachens‘. Als Prätext wird auf Rilkes bekanntes Todesgedicht ‚Schluszstück‘… angespielt. Neben und eigentlich vor Rilke wird aber auch ein biblisches Motiv aufgegriffen…. Wie war das, als der Herr das Los der Gefangenschaft Zions wendete? ‚Da war unser Mund voll Lachens‘ (Ps 126,2).

Mit dieser doppelten Anspielung wird nun endgültig klar, dass es sich um ein Gedicht über das Sterben … handelt. ‚Die Seele reiseklar‘. Das Gedicht setzt die Existenz der Seele voraus, sie ist reiseklar. Wohin geht die Reise? Auch hier wagt Piontek ein Bild: Ziel ist ‚das All‘, doch das ist nur eine ‚schmale Tür‘. Die Tür aber ist ‚angelweit offen‘… Der ungehinderte, durch ‚freies Geleit‘ geschützte Aufbruch beschreibt die sehnsüchtig erhoffte Reise der Seele. Am Ende steht der über sich selbst hinaus verweisende Bindestrich, der Hier und Dort verbindet, verbinden soll. Er markiert das Ende der sprachlichen Fassbarkeit.“

Georg Langenhorst: Auferweckt ins Leben. Die Osterbotschaft neu entdeckt. Darin: Heinz Piontek: Freies Geleit, Freiburg im Breisgau 2018, S. 277-281.

Heinz Piontek ist mit „Freies Geleit“ im Evangelisches Gesangbuch für Bayern und Thüringen (Ausgabe 1994) vertreten:

Station 12 Anzeichen des Alters

„Anzeichen des Alters“ ist als Liebesgedicht zugleich eine Liebeserklärung an das Donauried, das mit den beiden kleinen Städten Heinz Piontek zur Nachkriegsheimat wurde.

In einem Brief an seine Schwester (19. Mai 1994) ruft Piontek Jahrzehnte nach seinem Fortgang die Jahre in Lauingen und Dillingen noch einmal auf:

„In 500 oder 600 Metern, von der rechten Straße aus, floss die Donau. Man sah sie lange nicht, wenn man sich ihr näherte. Egal, es war ein Katzensprung für Gisela und mich, wir mussten den etwas steilen Weg oder Pfad hinunter balancieren (es war mit Sicherheit die Urstromtalwand der Donau), ja dort konnte man längs des Stromes auf schmalen Pfad oder Treidelweg sich die Beine vertreten, und wenn man Lust hatte, auch stracks bis nach Dillingen marschieren. Auf unserer Donauseite war es besonders schön, die Bestände von „Auwäldern“ dufteten, die Wiesen rochen bitter nach geschnittenem Gras oder süß nach sonnengetrocknetem Heu. Dieses selten von Menschen nach Wochentagen begangene Uferstück war es auch, wo wir in die zwei- bis zweieinhalb Meter tiefe Donau hinunterglitten und schwammen, schwammen, eben: uns sattschwammen.“

Station 13 Volkslied

"Volkslied“ - Interpretation

Heinz Piontek wohnte von 1955 an in Dillingen und zog 1961 in die bayerische Hauptstadt. Dort entstanden diese 1966 erstmals veröffentlichten Verse. Indem das Gedicht den Begriff „Donauübergang“ verwendet, wird eine ja eigentlich unproblematische Umzugsfahrt nach München gedanklich mit einer gefährlichen Überquerung des Flusses verknüpft, wie z. B. eine der amerikanischen Streitkräfte, die im April 1945 über die Dillinger Donaubrücke nach Süden vorstießen (s. Peter von Neubeck »Als die Amerikaner ‚Teufelskatzen‘ Dillingen erreichten«. In: DZ-Extra: Kriegsende, Donau-Zeitung, 22. April 2015, S. 38).

„Volkslied“ ist ein eigentümlicher Titel für ein Gedicht, das gerade nicht in der Form eines Volksliedes geschrieben ist. Die merkwürdige Wendung „es gehe wie es wöll“ verweist aber auf das alte schwäbische Volkslied »Schneiders Höllenfahrt«, Seine erste Strophe lautet: „Es wollt ein Schneider wandern / Am Montag in der Fruh, / Begegnet ihm der Teufel, / Hat weder Strumpf noch Schuh: / ‚He, he, du Schneidergesell, / Du musst mit mir in d’Höll, / Du musst uns Teufel kleiden, / Es gehe wie es wöll!“ Die Wendung „Du musst mit mir in d’Höll“ macht, zusammen mit „Donauübergang“ klar, dass Heinz Piontek im Weggang aus Dillingen, wo man doch in so „manchem schönen Eck“ sitzen konnte, durchaus Gefahren für sich erblickte. Das Gedicht lässt allerdings im Ungewissen, warum sein Autor Dillingen überhaupt verlässt. Erschien ihm sein Aufenthalt im Donauried zunehmend als Weltflucht („Schlaftrunken kam der helle Morgen an. / Wir gingen wie die Schneider durch den Klee“), als Rückzug in eine Art Idylle („und tauschten Noten ein um Küsse“), und suchte er nun eine größere Nähe zum „unerhörten Aufstand“ in der Welt?  Der „Donauübergang“ war dann ein ohne abwägende Bedachtnahme („blind“) eingegangenes Abenteuer, sich in die Gefahren eines „unerhörten Aufstands“ in der Welt zu begeben. Waren es die sich z. B. in den Schwabinger Krawallen (1962) am Horizont zeigenden (Studenten-)Unruhen, die heute vereinfacht mit „1968“ umschrieben werden und die für einige einer Kulturrevolution gleichkamen, in der das Unterste zuoberst gekehrt wurde?

Das Lied vom Schneider – man sollte es zum Verständnis des schwäbischen Volkslieds beachten – endet allerdings glücklich, der Schneider kann die Hölle wieder verlassen: „He, he, du Schneidergesell, / Pack dich nur aus der Höll, / Wir brauchen keine Kleider mehr, / Es geh halt, wie es wöll!“ Entging Heinz Piontek den Gefahren, die er in dem Gedicht ahnte? Seine Biografie zeigt, dass er, der sich als unpolitischer Schriftsteller sah, durch eine sich politisch verstehende Literaturkritik aber Wunden davontrug.

(Hartwig Wiedow)

S. dazu: Hartwig Wiedow: Heinz Piontek im Donauried: Nachkriegsheimat und Anfänge eines Schriftstellers. In: Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen a. d. Donau, 116./117. Jahrgang 2015/16, Dillingen 2017, S. 285.